„Dekolonisiert die Zukunft!“

Neben den Stadtbäumen und ihrer wohltuenden Wirkung auf Menschen und Klima verfolge ich seit einiger Zeit ein weiteres Thema: Postkolonialismus und Dekolonisierung – mit vielfältigen Aspekten und aktuellen Herausforderungen. Und ich hätte mir nicht träumen lassen, dass es einen Punkt gibt, wo sich diese beiden Themen (Klimakatastrophe und Postkolonialismus) berühren und dabei interessante Funken schlagen. David Van Reybrouck, der belgische Historiker, der u.a. ein Buch über die Geschichte des Kongo vorgelegt hat, bietet dazu eine überzeugende These. Ich zitiere aus seiner Eröffnungsrede zum Internationalen Literaturfestival in Berlin am 7. September 2022:

„Der Kolonialismus, so habe ich begriffen, ist nicht nur etwas Historisches. Es genügt nicht zurückzuschauen. Denn selbst wenn wir den Kolonialismus der Vergangenheit völlig aufgearbeitet haben, haben wir immer noch nichts an der dramatischen Art und Weise geändert, in der wir heute die Zukunft kolonisieren. Die Menschen eignen sich dieses Jahrhundert mit denselben Gefühlen, mit Rücksichtslosigkeit, mit Gier und Kurzsichtigkeit an, mit der einst Kontinente erobert wurden. Der Kolonialismus ist kein territoriales Unternehmen mehr, sondern ein zeitliches. […] Wir verhalten uns wie die Kolonisatoren kommender Generationen. Wir berauben sie ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit, womöglich sogar ihres Lebens, genau wie die Kolonialherren der Vergangenheit. […]. Wir tun so, als gäbe es sie nicht, als gehöre ihr Land uns, als sei ihre Welt unbewohnt, als stünde es uns frei, auf ihre Ressourcen zuzugreifen: Trinkwasser, fruchtbarer Boden, gesunde Luft. […]. Wir plündern unsere Enkelkinder aus, wir berauben unsere Kinder, wir vergiften unsere Nachkommen.“

(David Van Reybrouck zur Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals in Berlin am 7. September 2022; transkribiert nach der im Livestream angebotenen Übersetzung aus dem Englischen)

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